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Duppau 1896
Im Wald versunken
Wo im Dupppauer Gebige früher Siedlungen waren, forschen heute Biologen.
von Hannah Illing
gesendet von Radio Praha am 2.10.2014
Etwa 100 Kilometer nordwestlich von Prag, in der Gegend um Karlovy Vary / Karlsbad, liegt das Duppauer Gebirge, auf Tschechisch Doupovské Hory. Der Höhenzug hat eine bewegte Geschichte. Früher lebten in der Gegend Sudentendeutsche, die nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vertrieben wurden. Heute ist im Duppauer Gebirge das Truppenübungsgelände „Hradiště“. Von den ehemaligen Bewohnern gibt es nur noch wenige Spuren – dafür ist das tschechische Mittelgebirge aus ökologischer Sicht interessant. Hannah Illing hat einen Biologen in das Areal begleitet, in dem die Natur schon lange sich selbst überlassen ist.
Viel ist nicht übrig geblieben vom Städtchen Doupov / Duppau. Einst gab es hier 1524 Einwohner, 272 Häuser, einen Bahnhof, zwei Hotels, ein Gymnasium, ein Schloss und einen Konvikt. Ein leichter Wind rauscht durch die Blätter der alten Linden auf dem ehemaligen Marktplatz. Goldene Strahlen der Abendsonne verirren sich zwischen Weidenbäumen. Rundherum Wildnis.
Wald im Duppauer Gebirge (Foto: Jaroslav Vojta)
Gewöhnliches Katzenpfötchen im Duppauer Gebirge (Foto: Jaroslav Vojta)
„Hier befinden wir uns vor dem letzten noch stehenden Gebäude von Doupov. Es ist ein Wirtschaftsgebäude des örtlichen Bahnhofs. Im Grunde ist das seit Ende der 1960er Jahre tatsächlich das letzte Gebäude, das hier noch steht. Heute ist es völlig von Bäumen bedeckt.“
Der Biologe Jaroslav Vojta von der Prager Karlsuniversität erforscht seit langem die Pflanzenwelt im Duppauer Gebirge. Er ist in der Gegend aufgewachsen. Schon sein Großvater, ein Förster, nahm ihn auf lange Spaziergänge hierhin mit. Vojta hat seine Diplomarbeit über die Pflanzenwelt in dem Mittelgebirge geschrieben, jedes Jahr verbringt er dort mehrere Wochen.
Als die tschechoslowakische Regierung Mitte des vergangenen Jahrhunderts in dem 330 Quadratkilometer großen Areal einen Truppenübungsplatz einrichtete, bekam die Natur praktisch freie Hand. Seit Jahrzehnten verwildern die Felder, der Boden im Duppauer Gebirge wurde noch nie mit chemischen Substanzen gedüngt, eine Reihe seltener Pflanzenarten wächst in dem Gebiet. Das und Weiteres macht das Gebirge für Jaroslav Vojta interessant.
Duppauer Gebirge (Foto: Jaroslav Vojta)
„Dieses Gebirge sind ein einzigartiges Territorium. Nicht nur, weil es verlassen ist, sondern auch wegen der geologischen Bedingungen. Ein wichtiger Faktor hier ist der Untergrund aus Basalt, einem Vulkangestein. Das Duppauer Gebirge ist eigentlich ein riesiger Vulkan mit mehreren kleinen Seitenvulkanen. Der größte Teil des Gebirges besteht also aus basaltischen Felsen, die alkalisch und nährstoffreich sind. So können hier eine ganze Reihe anspruchsvoller Pflanzen wachsen.“
Mit der Einrichtung des Truppenübungsplatzes „Hradiště“ verschwanden in den 1950er und 1960er Jahren neben der Stadt Doupov knapp 70 weitere Ortschaften, Bauernhöfe und Mühlen. Die tschechischen Bewohner, die die Häuser der Sudetendeutschen nach dem Krieg übernommen hatten, wurden umgesiedelt.
Zunächst nutzten die Soldaten die leerstehenden Gebäude als Zielobjekte für Schießübungen, aus Sicherheitsgründen wurden die Siedlungen später aber systematisch zerstört. Als letzte Spuren menschlicher Besiedelung verbleiben heute ein paar Steinhaufen mitten in der Natur. Außer Biologen wie Jaroslav Vojta und den Soldaten wird das Duppauer Gebirge nur noch von ein paar Förstern und Jägern betreten. Wenn nötig fällen sie Bäume oder schießen Rehe. Die Militärübungen auf dem Areal sind inzwischen der einzige Eingriff von Menschen in die Natur. Und selbst die Übungen tragen zur einzigartigen Fauna in der Gegend bei.
„Wir stehen hier an einem Ort, an dem die Pflanzen sogar von den Militärübungen profitiert haben. Deshalb ist der Zustand der Vegetation demjenigen von Weideland sehr ähnlich. Die Grashalme hier sind sehr kurz. Dominant ist hier das Binsengras. Es gibt aber auch viel Feldthymian. Das ist ein Platz, an dem sich die Panzer oder andere Militärfahrzeuge häufig bewegen. Der Boden hier ist daher recht seicht. So haben die starken Pflanzen keine Chance, hier zu wachsen - das kommt den schwachen Pflanzen zugute. Deshalb ist das Weideland hier fast noch so, wie es wahrscheinlich früher war. In diesem Fall ist die Anwesenheit des Militärs also vorteilhaft für die Region“, erklärt Jaroslav Vojta.
Andere Teile der Landschaft werden von den Soldaten nicht genutzt und sind daher weitestgehend unberührt. Dort erobert sich die Natur Stück für Stück ihr Revier zurück.
Ehemaliges Dorf Lipoltov (Foto: Jaroslav Vojta)
„Die Natur hat sich hier erheblich verändert. Bevor diese Gegend verlassen wurde, war hier eine vielfältige Landschaft mit Wäldern und Wiesen. Als die Leute gezwungen wurden, ihre Häuser zu verlassen, hatte die Natur plötzlich freie Hand. Im Grunde kann man sagen, dass die Natur hier gewonnen hat. Die Dörfer sind sehr schnell von Wald überwuchert worden, genauso wie die Felder“, so Vojta.
Wo noch bis in die 1950er Jahre Felder waren, wachsen jetzt Sträucher und junge Bäume. In den Ruinen verlassener Bauernhöfe wuchern Holunderbüsche, ehemalige Dörfer sind komplett im Wald verschwunden. Eines von ihnen ist das Dorf Lipoltov, das die Sudentendeutschen „Lappersdorf“ nannten. Es existieren noch alte Landkarten des Duppauer Gebirges, eine zeigt Lipoltov im Jahr 1942.
"Hier ist Lipoltov. Wir sind diesen Weg hochgelaufen. Hier war das erste Haus, wo wir den Brunnen gesehen haben. Dort sind wir hochgelaufen. Und hier müsste dieses Kreuz sein. Daneben ist eine Wasserfläche, sie wurde früher als kleines Becken für die Feuerwehr genutzt. Das ist auch ein interessanter Ort, weil dort heute immer noch Feuchtwiesen sind. Dort leben Amphibien. Die Pflanzen dort sind auch ziemlich schön.“
Biologe Jaroslav Vojta steht in einem Bauernhaus in Lipoltov. Es ist die letzte Ruine in dem verlassenen Dorf, das zu Beginn des Zweiten Weltkriegs noch 205 Einwohner hatte. Nur noch die Außenwände und ein kleiner Keller unter dem Waldboden sind von dem zweistöckigen Gebäude übrig geblieben. Fast gespenstisch steht es mitten im Wald.„Dort steht eine junge Ulme. Sie sieht sehr gesund aus. Und hier ist ein Bergahorn. Das sind Pionierpflanzen, die als erstes in den Ruinen wachsen. Dort steht eine Salweide. Es ist ein ziemlich großer Baum, wahrscheinlich ist er so 30 oder 40 Jahre alt. Hier ist eine Birke, die wegen des basaltischen Bodens sehr selten vorkommt. In dieser Gegend kann man sie hauptsächlich in den Ruinen antreffen oder dort, wo die Soldaten üben. Dort ist die Konkurrenz durch stärkere Bäume nämlich nicht so groß. Hier steht ein Holunder, der ist auch typisch für die Ruinen. Aber das sind alles kurzlebige Gewächse. In ein paar Jahrzehnten wird hier also ein wirklich schöner Schuttwald mit Eschen und Bergahornen entstehen.“
Der ehemalige Dorfbach fließt immer noch an einem alten Pfad entlang. Früher spielten hier Kinder in Obstgärten, Kühe grasten auf den anliegenden Weiden, und die Bäuerinnen legten Blumenbeete an. Die Blumen – sie sind vielleicht das letzte Erbe der Sudentendeutschen, ein lebendiges Relikt vergangener Zeiten.
Wald im Duppauer Gebirge (Foto: Jaroslav Vojta)
Duppauer Gebirge (Foto: Jaroslav Vojta)
Männliches Knabenkraut im Duppauer Gebirge (Foto: Jaroslav Vojta)
Duppauer Gebirge (Foto: Jaroslav Vojta)
Es gibt hier sogar Blumen, die von den Leuten damals gezogen wurden. Man erkennt also nicht nur an den Ruinen, dass hier ein Dorf gewesen ist, sondern auch an den Pflanzen. Das hier ist eine Hesperis matronalis, ein Abendstern. Den haben die Leute hier für gewöhnlich kultiviert. Sie ist eine der wenigen Pflanzen, die sich hier ohne die Pflege von Menschen weiter verbreiten können. Sie verbreitet sich auch über die Grenzen des Dorfes hinaus“, erklärt Biologe Jaroslav Vojta.
Das Duppauer Gebirge liegt friedlich da, fast verträumt. Eine Landschaft mit sanften Hügeln, sattem Grün und Blättern, die leise im Wind rascheln. Und doch gibt es in der Geschichte dieser Gegend ein besonders dunkles Kapitel. Laut historischen Quellen versteckte sich im Mai 1945 eine Reihe NSDAP-Funktionäre und Angehörige der SS in der Gegend. Nach Kriegsende kam es so zu brutalen Zusammenstößen zwischen Deutschen und Tschechen. Am bekanntesten ist ein Massaker von Anfang Juni 1945 im Dorf Totzov / Totzau. Damals wurden vor den Augen der anderen Dorfbewohner 20 bis 30 Männer erschossen. Auch einige Duppauer sollen infolge der Nachkriegswirren hingerichtet worden sein.
Bis Mitte 1946 mussten die Sudetendeutschen das Duppauer Gebirge verlassen. Ihre Häuser wurden von tschechoslowakischen Staatsbürgern und Wolhynien-Tschechen aus der Ukraine übernommen. Diese durften allerdings nur bis zum Mai 1954 in dem Gebirge wohnen bleiben. Dann wurde die Gegend komplett geräumt und abgesperrt, um Platz für Soldaten aus der Tschechoslowakei und der Sowjetunion zu machen. Die Stadt Doupov wurde in Etappen zerstört. Die letzten Gebäude, unter ihnen auch eine gotische Kapelle aus dem 14. Jahrhundert, verschwanden im Jahr 1968.
Wenige Kilometer Luftlinie von den Überbleibseln Doupovs entfernt befindet sich das Dorf Svatobor / Zwetbau. Ein offener Kindersarg aus Stein liegt dort unter einem wilden Birnbaum. „Die trauernden Eltern“ steht auf der halb zerbrochenen, mit Moos bewachsenen Grabplatte im Gras. Zum ehemaligen Friedhof führt immer noch eine alte Buchenallee. Die Allee ist der letzte von weitem sichtbare Eingriff einer längst versunkenen Zivilisation. Bis auf das Zirpen der Grillen herrscht Stille. Es wirkt fast, als habe der Ort seinen Frieden gefunden.
Vorsicht, das Duppauer Gebirge kann nur mit einer speziellen Genehmigung besucht werden. Diese muss bei der Verwaltung des Truppenübungsplatzes eingeholt werden. Wer ohne bürokratischen Aufwand auf alten Spuren wandeln will, kann auch den ehemaligen Kurort Lázně Kyselka / Bad Gießhübel besuchen. Er befindet sich am Rand des Gebirges, nicht weit entfernt von Karlsbad.